Wo Marie auf Özgür trifft

Ein zutiefst Weddinger Ort in einem Häuserblock

Der Wedding hat mehrere Orte, an dem die typische Bevölkerung zusammenkommt. Ob auf dem Leopoldplatz, am Bahnhof Gesundbrunnen oder auf einem Parkplatz im Soldiner Kiez. Letzterer liegt an der Drontheimer Straße und hier finden sich irgendwann alle ein, die im Wedding leben.

Der Parkplatz gehört zum einstigen Fabrikensemble der Hydrawerke, einer Tochterfirma der AEG. Dort befindet sich seit Jahrzehnten das Einrichtungshaus Poco. Dieses Billig-Kaufhaus hat mehrere Gebäude der Fabrik übernommen, sodass die Kunden teilweise über den Parkplatz zum anderen Haus wechseln müssen. Poco hat kein Interesse, sich schick zu präsentieren und das sieht man den Gebäuden an. Die Fassade mutet an manchen Stellen bröckelig an, Fenster sind blind oder verklebt. Das stört aber die Kunden nicht, die hier zum günstigen Preis einkaufen – seien es nur Kochlöffel oder ganze Schlafzimmereinrichtungen.

Aber es sind nicht nur die Poco-Kunden, die hier zwischen den Autos über den Platz mitten im Block laufen. So befindet sich hier ein Veranstaltungsraum, der gerne für Hochzeiten und große Feiern genutzt wird. Außerdem der überaus beliebte Punjab-Supermarkt, der von außen wie ein einfaches Obst- und Gemüsegeschäft aussieht. Doch hinter dem unscheinbaren Eingang öffnet sich ein großer Supermarkt mit Frischetheken und unzähligen engen Gängen voller Regale mit orientalischen Lebensmitteln und Gewürzen.

Der Weg über den Parkplatz ist auch eine beliebte Abkürzung, wenn man aus dem Soldiner Kiez zum U-Bhf. Osloer Straße möchte. Quer durch den Block kommt man nämlich auf die kurze Tromsöer Straße und landet dort erneut auf dem Gelände einer Fabrik aus dem vorigen Jahrhundert. Die Tromsöer Straße ist hier eine Sackgasse, zu beiden Seiten erheben sich die Fassaden des einstigen Telefunken-Werks, über der Straße ein dreistöckiges Brückenbauwerk. Darunter ein pakistanisches Restaurant und noch ein Supermarkt, diesmal afrikanisch und südasiatisch. Die Kundschaft ist hauptsächlich schwarz oder indisch, pakistanisch und eher selten europäisch-hellhäutig. Der deutsche Rassist dürfte sich hier herrlich unwohl fühlen.

Dieser kurze Spaziergang von der Drontheimer durch den Block zur Tromsöer Straße führt durch einen Teil der Weddinger Industriegeschichte. Und der Nachkriegszeit, in der Brandmauern und Blicke in offene Hinterhöfe normal waren. Heute verbreitet dieser Ort den typischen Weddinger Charme: Hart aber (manchmal) herzlich. Die vielen Menschen hier kommen aus allen möglichen Ländern, man trifft hier die Marie und den Karl-Heinz genauso wie den Özgür oder die Ohemaa. Es ist das, was man einen ehrlichen Ort nennen könnte. Ohne Schnörkel, ohne großmäulige Werbeversprechungen, ohne Schicki-Micki. Einfacher, realer Wedding eben.